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Ein Artikel im Roten Reiher,
der Hauszeitung für das Landeskirchenamt Hannover, vom Oktober 2011


Zehn Propheten für das Landeskirchenamt

Wertvolle Klosterstickereien

Haben Sie mal genau die beiden Wandschals im Treppenhaus unseres Hauptgebäudes betrachtet? Eine kleine Tafel erläutert kurz und knapp dieses Kunstwerk, das noch im Entstehen ist. Der Rote Reiher wollte mehr wissen und machte einen kleinen Abstecher in das Kloster Wienhausen nahe Celle. Nach der freundlichen Begrüßung durch die Priorin Brigitte Brockmann, Vertreterin der Äbtissin des Klosters, und Elke Hirschler, Leiterin der dortigen Stickkurse, sowie ihren Ehemann Hans-Jürgen Hirschler, Bruder des Altbischofs Horst Hirschler, der sich als „Sekretär" versteht, erfuhren wir nun alles, was wir über das Stick-Projekt „Marktkirchen-Medaillons" wissen wollten:

Mittelalterlicher Stich weit verbreitet

Unser Präsident war durch eine Stickerei im traditionellen Klosterstich von Elke Hirschler, einer ehemaligen Berufsschullehrerin aus dem Bereich Textiltechnik, auf die Idee gekommen, einen Wandbehang von ihr und ihrer Stickgruppe für das Treppenhaus im Hauptgebäude herstellen zu lassen. Für die künstlerische Umsetzung war dem Ehepaar Hirschler freie Hand gelassen worden: „Wir entschlossen uns für zwei Stoffschals, die mit den Bildern von zehn Propheten aus dem Alten Testament bestickt werden", erläuterte uns Elke Hirschler. Die Vorlage hierzu lieferten ein gotischer Bildteppich aus dem Kloster und der Altar der Marktkirche in Hannover, wo die Prophetenbilder als Medaillons am unteren Rand anzusehen sind. Dabei handelt es sich nicht ausschließlich um die bekannten Propheten, sondern z. B. auch um die Seherin Sybilla Tiburtina. Da die Marktkirche die Predigtkirche des Landesbischofs darstellt, ergab sich hierdurch der Bezug der Bilder zu unserem Haus. Ausgeführt werden die Arbeiten im Niedersächsischen Klosterstich, der bereits von den Wienhäuser Nonnen im Mittelalter zur Herstellung der berühmten und kostbaren Bildteppiche verwendet wurde. „Es ist ein ganz alter und einfacher Stich ohne Abzählen eines Musters, der auch von Anfängerinnen sofort beherrscht wird", so die Stickleiterin. „Dieser ist zum Ausfüllen von größeren Flächen besonders geeignet." Wir erfuhren, dass dieser Stich auch als Gotischer Gobelinstich und Nonnenstich bekannt ist. Brigitte Brockmann berichtete, dass dieser Stich auch in anderen Kulturen verbreitet war: „Es gibt altertümliche Funde in der Türkei, in Afghanistan und Sibirien, die dies beweisen."

Vom Bodenbelag zum Kunstschatz

„Für meinen Mann und mich war wichtig, dass an diesem Projekt mehrere Personen arbeiten sollten, genau wie die Nonnen es früher auch taten", erklärte uns Hirschler. „Keiner der alten Teppiche wurde nur von einer Nonne gestickt, immer waren mehrere daran beteiligt." Die Nonnen stickten damals zur Ehre Gottes, dennoch waren Gespräche bei der Arbeit alltäglich. Häufig wurden auch Kirchenlieder gesungen, wobei alle Nonnen dabei in einen übereinstimmenden Stickrhythmus zur Melodie fanden. Als spirituelle Beschäftigung empfinden auch die heutigen Teilnehmerinnen der Kurse ihre Stickarbeit, darunter auch die Äbtissin Renate von Randow. Mit viel Engagement haben sieben von den insgesamt zehn Stickerinnen, die aus Wienhausen und Umgebung, Celle und Hannover immer wieder zusammenkommen, das Projekt angenommen. Jede von ihnen identifiziert sich inzwischen mit „ihrem Propheten" und gibt diesem durch ihren eigenen Stich einen besonderen Charakter. Elke Hirschler weiß: „Mit der Art des Stiches ist es wie mit einer Handschrift, auch diese ist ganz individuell und unverfälschlich." Hoch interessiert schauten wir den Stickerinnen über die Schultern und ließen uns die verschiedensten Dinge erläutern. Alle Damen sind meist schon mehrere Jahre in dem viermal im Jahr stattfindenden Stickkurs dabei und haben offensichtlich große Freude an ihrer Tätigkeit. Seit 2005 finden diese Treffs von Donnerstag bis Sonntag statt, wobei die Teilnehmerinnen während dieser Zeit voll in den Klosteralltag integriert sind. Später zeigte uns Brigitte Brockmann im Museum die Klosterteppiche, der älteste stammt aus dem 13. Jahrhundert. „Früher wurden diese als Bodenbelag genutzt, heute sind es unschätzbare Kunstwerke." Bis 1480 wurde die Klosterstickerei in Wienhausen betrieben und erst mit Elke Hirschler 1985 wiederbelebt.

Leinen, Wolle und Seide

Wie kommt man nun von der historischen Vorlage zum heutigen Stickbild? Hans-Jürgen Hirschler fotografierte die Medaillons in der Marktkirche, wonach seine Frau dann die Bilder nachzeichnete und eine zum Sticken geeignete Vorlage erstellte. Diese wurde auf den PC übertragen und dann auf Papier ausgedruckt. Das Übertragen der einzelnen Medaillons auf einen Leinenstoff geschah mittels Nadeleinstichen, die nachher mit einem farbigen Stift verbunden wurden. Entsprechende Woll- und Seidengarne mussten gesucht und ausprobiert werden. „Die Webwolle haben wir bei einem finnischen Anbieter entdeckt, und eine kleine Färberei im süddeutschen Raum lieferte uns das spezielle Seidengarn", so Hirschlers. Die golddurchwirkten Seidenfäden sind dabei die schwierigsten beim Sticken, da bedarf es schon längerer Erfahrung. Durch die unterschiedliche Anordnung der Stiche können Konturen hervorgehoben oder besondere Akzente gesetzt werden. „Nach dem Sticken werden die Medaillons gespannt und gedämpft und zum Schluss auf die Schals aufgenäht", erklären uns unsere Gastgeber. Für ein Medaillon in der Größe von 55 x 55 Zentimetern benötigen die Stickerinnen jeweils ca. 39 Stunden. An Materialkosten entstehen für das Projekt etwa 3.600 Euro, wobei die Aufhängevorrichtungen im Treppenhaus den Löwenanteil verschlingen. Die Arbeitskraft für die Bilder stellen uns die „Stickdamen" kostenlos zur Verfügung. Herzlichen Dank dafür!

Die Stickfortschritte werden wir auf den Schals miterleben; im nächsten Jahr sollen sämtliche Medaillons fertig sein. Das Stickprojekt wird uns dann offiziell präsentiert, dazu laden wir bereits jetzt alle Stickerinnen aus Wienhausen ein. Der Rote Reiher freut sich darauf.

(Anmerkung von H.-J. Hirschler: Die folgenden Fotos waren (ohne Untertext) im Artikel verteilt - der Einfachheit halber werden sie hier gesammelt hinzugefügt.)