Diese kostbare Krümme eines Abtstabes ist
auf mehrfache Weise mit dem Orden der Zisterzienser verbunden. Zunächst ist es
die Darstellung in der Krümme selbst, die einen Bezug liefert. Es handelt sich
um eine Vision des Hl. Bernhard von Clairveaux, eines der Gründungsväter des
Zisterzienserordens:
Als Bernhard einmal betend vor dem Kreuz kniete, nahm Christus seine Arme vom
Kreuz und umarmte den Betenden. Dieses seit dem 15. Jahrhundert vor allem
nördlich der Alpen immer wieder dargestellte Thema ist eines der wichtigen
Bilder für die mystische Vereinigung von Gott und Mensch. Seine Darstellung am
Stab eines Abtes war somit nicht nur Erinnerung an den Ordensheiligen, sondern
besaß auch Vorbildcharakter für das Leben der Mönche selbst. Das Wappen zu Füßen
des Knienden mit dem schachbrettartigen Schräglinks-Balken (linker Bildteil, in
dieser Darstellung nicht zu erkennen) ist das persönliche Wappen des Heiligen
Bernhard und macht das Bildthema damit eindeutig erkennbar. Über das Thema
hinaus ist der Abtstab auch durch das dem Bernhardwappen rückseitig gegenüber
angebrachte zweite Wappen (rechter Bildteil) mit den Zisterziensern verbunden.
So konnte dieser Wappenschild mit den drei übereinander gesetzten Jochen als
Wappen des 1547 zum Abt von Kloster Bebenhausen gewählten Sebastian Lutz
identifiziert werden. Der Stab, dessen Krümme sich heute im Kölner Museum
Schnütgen befindet, stellt also nicht nur einen Heiligen des Zisterzienserordens
dar, sondern stammt auch aus dem Zisterzienserkloster Bebenhausen und wird von
oder für Abt Sebastian Lutz um 1547 in Auftrag gegeben worden sein.
Aber es wird auch deutlich, dass der Stab eine gewisse Ferne zum Reformorden der
Zisterzienser besitzt. So ist er in einer Zeit geschaffen worden, in welcher die
ursprüngliche Idee des Ordensreformers Bernhard von Clairveaux nicht mehr sehr
stark im Klosterleben ausgeprägt war. Mit der Absicht, das Leben in den reichen
Benediktinerklöstern – wie z. B. in Cluny – wieder auf das ursprüngliche Ideal
der Armut auszurichten, hatte sich Bernhard von Clairveaux in der ersten Hälfte
des 12. Jahrhunderts auch gegen die kostbare Ausstattung der Kirchen gewandt:
"Glauben denn Eure Ordensoberen wirklich, dass der Heiland dereinst beim
Jüngsten Gericht sagen wird: 'Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, denn ihr
habt mir goldene Kelche gemacht und Messgewänder mit Goldstickereien'?" So
weitete Bernhard die Reform des Ordenslebens auch auf das Gebiet der Kunst aus.
Figürliche Darstellungen wurden völlig verboten, was in der Kunst der
Zisterzienserklöster zur Entwicklung einer eigenen Ästhetik des Ornamentes
führte. Diese Grundhaltung der Zisterziensischen Reform findet sich bei unserem
Abtsstab nicht mehr. Er hat figürliche Darstellungen und wurde aus versilbertem
und vergoldetem Kupfer hergestellt. Von der angestrebten Schlichtheit
zisterziensischer Kunst ist hier wohl nur die "Schnörkellosigkeit" der Krümme
und die Einfachheit dieser frühbarocken Komposition geblieben, und allenfalls
Akanthuslaub und Akanthusvolute der Bodenfläche unter den Figuren erinnern an
das Ideal des Ornamentschmuckes.
T. Nagel
in der Reihe "Museen Köln - Bild der Woche"