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Gedanken einer Theologie-Studentin

 

Lieber Cord!

Nun hat mich das Antependium doch nicht in Ruhe gelassen. Ich hab mir in der gestrigen schlaflosen Nacht mal so meine Gedanken darüber gemacht. Ich habe sie absichtlich nicht noch einmal geordnet. Du liest meine Gedanken, so wie sie mir kamen.

Der sich im Vordergrund befindliche Hügel in den zuerst rötlichen und braunen Farbtönen steht meines Erachtens nach für den Erdboden. Ich verbinde damit die menschliche Herkunft, unseren Ursprung und aufgrund der verschiedenen Schichten auch unsere Erlebnisse, also unsere Vergangenheit.

Je weiter sich der Hügel nach oben erstreckt, der Mensch heranwächst und reift, desto grüner werden die Schichten, welche den Hügel formen. Grün, dass ist für mich die Farbe der Hoffnung, des neuen Lebens. Man bedenke die Farben des Frühlings, das satte Grün nach einem langen Winter. Genau wie die Pflanzen jedes Jahr neu ihren Mutterboden brauchen, so kann sich auch der Mensch nicht seiner Herkunft, seiner Basis entziehen; das Leben mit all seinen negativen und positiven Erfahrungen kann nicht ausgetauscht und erneuert werden.

Der Hügel ist in einem dunkelblauen Hintergrund eingebettet. Er steht für sich allein. Vielleicht ein Zeichen für die Verlassenheit, die Mutlosigkeit und der Verzweiflung eines Menschen. Es scheint kein Licht und keine Hoffnung mehr zu geben. Wie die Pflanze das Licht zum Wachsen braucht, benötigt auch der Mensch die Hoffnung für sein Leben. Ohne Perspektiven, die ihn am Leben halten und neue Wege gehen lassen, scheint er in dieser unendlichen Leere verloren. Ich denke, auch der Gedanke an einen Gott, der es gut mit uns meint und uns in seiner Hand hält, ist für einen Menschen in solch einer seelischen Not wohl erst einmal sehr abwegig.

Wenn ich mir jetzt diesen grell-roten Pfeil ansehe, dann kommen mir die Gedanken an all die Verletzungen im Leben. Sie kratzen nicht nur an der Oberfläche, sondern reichen tief bis an den Grund der Existenz. Manche Verletzungen zwängen uns so ein, dass wir nicht mehr frei sein können. Ein normaler Umgang mit unserer Umwelt scheint nicht mehr möglich. Wir können uns nicht mehr selbst heilen, und der Schmerz ist so groß, dass wir uns in diesem Umfeld der Ohnmacht, der Einsamkeit und der Mutlosigkeit nicht mehr spüren können.

Doch jetzt in diesem Moment der tiefen Verzweiflung wird der Hügel von warmen, goldenen Strahlen berührt. Es erblüht eine Rose, deren Blüte in einem kraftvollen Rot erscheint. Das Rot und auch die Rose sind Symbol für die Liebe. Diese wiederum steht im Kontrast zu der Ohnmacht und Verzweiflung. Die Strahlen machen die Gegenwart Gottes nur all zu deutlich. Der Mensch, in seiner Seelennot ganz klein geworden, kauert nun demütig vor dem Angesicht Gottes und wird durch seine Liebe und Gnade erhoben und gestärkt. Das bedeutet nicht, dass all die Verletzungen, die Schmerzen beseitigt werden. Gott hilft uns, sie zu ertragen; wir können durch ihn unser Leben neu betrachten. Zu unserem Sein gehört auch die Vergangenheit.

Gott lässt uns im Lande unseres Elends wachsen. Gott ermöglicht es uns, den Blick neu auf das Kreuz zu richten, an dem Jesus Christus für uns gestorben ist und die Schmerzen, ja auch den Tod, für uns überwunden hat.

So, das war's! Es gibt wohl noch vieles, was sich dazu sagen lässt. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto spannender und ergreifender wirkt es auf mich.

Jessica Jähnert, Göttingen, Stud. theol. 1. Sem. 2003.